Was nimmt man mit? Was würdest Du mitnehmen?

Was greift man, wenn man einfach nur weg muss, um sein Leben und seine Freiheit zu retten? Was ist wichtig, was nützlich, was unentbehrlich? Jenifer Toksvig hat vor einigen Jahren ein englischsprachiges Gedicht geschrieben. Es heißt „What They Took With Them” und es ist eine Aufzählung von eben diesen Sachen: Was sie mitgenommen haben. Reisepass und Geld etwa. Oder eine Taschenlampe und Medizin für das Kind. Oder ein Stein vom Haus und Erde aus dem heimatlichen Garten. Und die Wohnungsschlüssel, immer in der Hoffnung, bald nach Hause zurückkehren zu können. UNHCR hat dieses Gedicht nun ins Deutsche gebracht – mit prominenter Unterstützung.

Warum flieht man? Und womit?

Es gibt in dem Gedicht auch immer wieder kurze Monologe, ein paar Worte nur. Darin erklären die Menschen, warum sie flohen: „Sie haben das Haus um mein Krankenbett zerstört. Die Nachbarn haben mich schreien gehört und kamen, um mich herauszutragen.“ Sie erzählen, wovon sie träumen: „Ich möchte studieren, damit ich wieder jemand bin.“ Und sie zeigen ihre Stärke: „Ich mache den Schmuck meines Volkes. Er steht für Freiheit. Keiner sagt mir, was ich zu tragen habe!“

Denen eine Stimme geben, die sonst nicht gehört werden

UNHCR wollte das Gedicht auf Deutsch vertonen. Eine englische Version gibt es schon, mit Cate Blanchett, Good Will Ambassador von UNHCR, Keira Knightley, Stanley Tucci, Chiwetel Ejiofor, Jesse Eisenberg und anderen gemacht.

Und auf Deutsch?

Elf Schauspieler erklärten sich bereit, mit UNHCR zu drehen. Iris Berben, Florence Kasumba, Mai Duong Kieu, Katja Riemann, Lea van Acken und Dennenesch Zoudé waren dabei. Und Volker Bruch, Bjarne Mädel, Kida Khodr Ramadan, Hans Sigl und Anatole Taubman. Für die Bildgestaltung war Stephan Burchardt verantwortlich, die Regie übernahm der Bildende Künstler und Filmemacher Mario Pfeifer.

Sie alle haben – ohne Gage – mitgemacht, obwohl jeder sonst für sich ein Star ist. Und obwohl jeder von weniger als 100 Wörter Text hatte. Aber sie wollten ein Zeichen setzen. Und die Wirkung der wenigen Worte ist immens. Oder, wie Katja Riemann als erstes nach dem Ruf „Cut!“ sagte: „Wow! Gänsehaut!“

©UNHCR/Ariadne Kypriadi
©UNHCR/Ariadne Kypriadi
©UNHCR/Ariadne Kypriadi
©UNHCR/Ariadne Kypriadi
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Das Gedicht „Was sie mitgenommen haben“ von Jenifer Toksvig

Brieftasche (leer), Brieftasche, Brieftasche, Geld, Münzen, Kleingeld
Taschenlampe,Trillerpfeife, Laserpointer, gut zu sehen draußen auf See
Drei Taschen. Eine Tasche. Rucksack. Kiste.
Gelbe Plastiktüte für die Papiere; wasserdicht dank Klebestreifen.
und die gelben Karten, für Flüchtlinge und mein Ausweis
Unterlagen vom Wehrdienst und die Informationsbroschüre von der Regierung
Abschlusszeugnis: Elektronik. Abiturzeugnis. Reisepass, wenn man einen hat.
Teures One-Way-Ticket, ist gefälscht
Fahne, Fahne, unsere Fahne
USB-Stick, Laptop, Telefon,Telefon
Telefonnummer, Telefonnummer, Telefonnummer, SIM-Karte, Ersatzkarte, Telefon, Telefon
Smartphone mit Skype und Facetime, Kopfhörer, Ladegerät, Ladegerät, Reisestecker.
Wohnungsschlüssel.   …   Wohnungsschlüssel.   …    Wohnungsschlüssel.
Notizbuch und Stift
Wir haben so viel erlitten. Ich möchte studieren, damit ich wieder jemand bin.
Schmerztabletten, Schmerztabletten, Pillen gegen Seekrankheit.
Gehstock. Gehstock. Blindenstock. Krücken. Rollstuhl. Spritzen für den Notfall.
Verbände, Verbände, Körperpflege, Zahnpasta. Zahnbürste und Zahnpasta,
Nagelknipser, Kamm. Shampoo und Haargel. Friseurwerkzeug und Sonnencreme.
Salbe für Sonnenbrand und die Tabletten für die Epilepsie des Sohnes: eine am Tag
Und alle bisherigen Impfungen für das Baby
Und Gesichtsaufheller. Ich will, dass meine Haut weiß ist und mein Haar glatt. Sie sollen nicht wissen, dass ich ein Flüchtling bin. Was, wenn mich jemand erkennt und die Polizei ruft? Weil ich ein Illegaler bin. Aber nicht, wenn ich weiß bin! Das stimmt doch, oder?
Traditionelle Kleidung. Warme Kleidung. Babykleidung, Lieblingskleidung, schmutzige Kleidung, nasse Kleidung, mehrere Lagen Kleidung
Hosen. Hosen. Hosen.
Nähmaschine. Das ist mein Leben, mein ganzes Leben.
Vier Kleider, zum Wechseln.
Eine Jeans mit Blumenmuster, die ich auf einer Party anhatte und erst wieder anziehe, wenn ich wieder auf eine gehe.
Hemd, ein Hemd und eine verlorene Sandale.
Ein paar Schuhe, Paar Schuhe, neu, nie getragen.
Ein Hijab, er war ein Geschenk.
Mein Lieblingskopftuch, das mit den Schädeln. Ich liebe die Farbe einfach.
Mein Turban. Mein Turban ist mein Beschützer. Und jetzt schützt er meine Persönlichkeit, meinen
Glauben. Ohne ihn bin ich schutzlos.
Kopftuch von jemanden, der bei den Kämpfen getötet wurde.
Ein Hut für das Baby, und Socken für das Baby. Eine Windel. Nur eine. Und feuchte Tücher.
Sakko gegen die Kälte, manche haben sogar noch eine Schwimmweste. Manche nicht.
Das Schlimmste daran, ein Flüchtling zu sein, ist es, dass man eines Morgens aufwacht und man alle Freiheiten verloren hat und man sein eigenes Leben nicht mehr bestimmen kann.
Es ist, als ob alles verschlossen ist und da ist nichts als das Meer. Nichts als das Meer, unsere einzige Möglichkeit, rauszukommen und frei zu sein.
Zigaretten: Stange, Schachtel, Feuerzeug. Tonpfeife, Ginseng, Kanister, Milch
Keimfreies Wasser, Wasser in Flaschen, Wasser, überall Wasser, eine Halbliterflasche für eine einwöchige Reise.
Öl in der Flasche, Zitronen, Zitronen, Datteln, Datteln, Datteln, Datteln.
Kekse, Cracker,Cracker, Cracker, Fleisch in der Dose
Teekessel, für die anderen im Boot: Wir sind durstig, erschöpft und haben Angst. Ich mache Tee. Das ist es, was wir machen: Wir bilden eine Familie.
Babynahrung, Marshmallows, nicht fertiggebackenes Brot. Die Männer, die uns vertrieben haben, haben es uns nicht fertig backen lassen.
Kochtopf, um etwas Warmes für die Kinder zu machen.
Ein Mann hatte nur eine Tasse dabei.
Ich hätte mich geschämt, jeden Tag um eine Tasse bitten zu müssen, nur um etwas Wasser zu trinken. Die Leute nervt es, wenn sie ständig um Dinge gebeten werden und schließlich sagen sie irgendwann nein. Aber jetzt habe ich meine eigene Tasse. Sie gibt mir Unabhängigkeit, wo immer ich auch hingehe.
Plastikläufer, Teppich, Teppich, Kissen.
Zelt aus Tierhaut. Ein Stein vom Haus. Ein bisschen Erde aus dem Garten, eingewickelt in Stoff.
Heiliger Boden, heiliges Buch, heiliger Text.
Rosenkranz und Gebetsperlen, Rosenkranz, Gebetsperlen, Rosenkranz.
In meiner Kopfbedeckung ist ein Schlüssel zu einer kleinen Metallkiste versteckt, in der alles Notwendige für eine Hochzeit ist.
Ring, Ring, Armband, Ring, Mutters Ehering.
Ich habe meinen während der Bomben verloren, deshalb hat Mutter mir ihren gegeben.
Meine Ohrringe. Ich mache Schmuck, den Schmuck meines Volkes. Er steht für Freiheit. Keiner sagt mir, was ich zu tragen habe.
Herzanhänger, Herzanhänger, Anhänger mit der Jungfrau Maria.
Armreif, Armreif, Armreif.
Nein, das Armband ist nicht mein Lieblingsstück. Das ist Nancy. Sie ist meine Puppe. In der Nacht, als wir geflohen sind, hat meine Mutter sie auf mein Bett gelegt, damit wir sie nicht vergessen, aber in der Eile haben wir sie dann doch vergessen. Es macht mir nichts aus. Sie wird aufpassen.
Uhr, digital und analog.
Familienbild. Fotos, Fotos, Fotos von meinem Vater. Erinnerungen an meinen Vater.
Ich habe nichts von meinem zu Hause. Alles wurde im Kampf zerstört. Wir mussten innerhalb von zehn Minuten raus. Sie haben das Haus um mein Krankenbett zerstört. Die Nachbarn haben mich schreien gehört und kamen, um mich herauszutragen.
Ich habe meine beiden Kinder getragen. In Körben, die an einer Stange über meiner Schulter hingen.
Und ich habe meine Jungfräulichkeit mit mir genommen, raus auf die See. Wir haben uns mit Erbrochenem eingerieben, damit uns die Piraten nicht anrührten.
Ich bin entkommen
mit meinen Kindern
meiner Schwester
meinem Bruder
meinem Mann
meiner Frau

Mit meiner Seele.
Mit meinem Lächeln.
Mit meinem Leben.